Mit ANITA in die Zukunft
In Ulm hat MAN gemeinsam mit Partnern den Einsatz autonomer Lkw in einem Containerterminal entwickelt und erprobt. Die Technik funktioniert.
Redundante Technik
Der Truck selbst ist eine handelsübliche Sattelzugmaschine vom Typ MAN TGX 18.510. Er sieht allerdings etwas außerirdisch aus mit seinen beiden Hesai-Lidar-Anlagen, die auf Höhe der Windschutzscheiben-Unterkante sitzen und für die Objekterfassung zuständig sind. Sie teilen sich die Arbeit mit vier weiteren Lidar-Systemen, sechs Radargeräten und neun Kameras. Das ganze System ist redundant, sodass bei Ausfällen eines Systems ein anderes übernehmen kann.
Der selbstfahrende MAN Truck ist Hauptprotagonist von ANITA (Autonome Innovation im Terminal-Ablauf), einem Forschungs- und Praxisprojekt, das einen Blick auf die künftige umweltfreundliche Verschmelzung von Straßen- und Schienengüterverkehr zeigt. Nach rund drei Jahren Projektdauer und dem abschließenden, sechsmonatigen Praxistest im laufenden Betrieb des Containerumschlagplatzes freut sich MAN Entwicklungsvorstand Dr. Frederik Zohm: „Wir haben unsere Projektziele erreicht.“ Und Ernst Stöckl-Pukall, Leiter des Referats „Digitalisierung, Industrie 4.0“ beim Bundesministerium für Wirtschaft und Kilmaschutz ergänzt: „Der Projektanfang war herausfordernd durch die Pandemie und Ukrainekrieg, jetzt sind alle begeistert vom Ergebnis.“
Test in realem Betrieb
Unkompliziert war es nicht, das ambitionierte Projekt umzusetzen. Denn das Team aus MAN Truck & Bus SE (autonomer Lkw), Deutsche Bahn AG (Logistik, Containermanagement, Testumfeld), der Hochschule Fresenius (Systemanalyse, Vernetzung) und der Götting KG (Technologieberatung zur Objektortung und Umgebungserfassung) betrat mit der vollständigen Integration eines autonomen Lkw in alle Abläufe eines laufenden Containerumschlagbetriebs Neuland.
Die Projektziele waren ambitioniert: Der „Newton“ getaufte Truck sollte in der realen Umgebung der Containerumschlaganlagen in Dornstadt bei Ulm, mit ihren 300 bis 400 Umschlägen pro Tag, reibungslos autonom fahren und dem Fahrer alle Aufgaben von der Entgegennahme des Auftrags, der Kommunikation mit Disponenten und Staplerfahrern bis zum vollautomatischen Aufladen und Verriegeln des Containers abnehmen – und dabei immer seine Umgebung in Echtzeit im Auge haben, auf unvorhergesehene Aktionen oder Fußgänger achten und Hindernisse sicher erkennen. Das Besondere dabei: Die Testläufe fanden im laufenden Betrieb des Containerumschlags statt, mussten sich also von Anfang an den komplexen Abläufen auf dem Gelände anpassen und durften dabei nicht stören.
Komplexe Kommunikation
Damit ANITA übertrag- und skalierbare Ergebnisse für die künftige Integration autonomer Trucks in die Prozesse von Logistikhubs und fahrerlose Lkw-Verkehre zwischen Logistikknoten liefern kann, waren Aufgaben zu lösen, die weit über das fahrerlose Fahren hinausgehen: Neben der sicheren Erkennung von Hindernissen mit Lidar, Radar und neun Kameras musste auch die komplette Kommunikation digitalisiert werden.
Für ANITA wurden alle analogen Prozesse analysiert, die sonst der Fahrer erledigt, und in ein digitales Regelwerk übertragen. Das bildet die Grundlage für die digitalen Kommunikationsschnittstellen, was auch nicht ohne Tücke war: „Wir haben hier ein kommunikationsintensives Multi-Agenten-System mit verschiedenen Akteuren wie Lkw-Fahrer sowie Kran- und Stapler-Führer, die unterschiedliche Kommunikationsformen wie Sprache oder Gesten nutzen“, erklärte Prof. Dr. Christian T. Haas von der Hochschule Fresenius, die für die aufwendige Systemanalyse zuständig war. „Um das zu automatisieren, mussten wir unterschiedliche Systeme miteinander verheiraten, damit Maschinen und Datenbanken miteinander reden können.“ Am Ende stand die voll digitalisierte Missionsplanung.
Wir mussten unterschiedliche Systeme miteinander verheiraten, damit Maschinen und Datenbanken miteinander reden können “
Und wie geht es jetzt weiter? Die Projektpartner sind sich einig, dass die Skalierung die nächste große Aufgabe ist. Mit ANITA wurde ein neuer, zukunftsträchtiger Basisstandard erarbeitet, und die technische Beschreibung sowie die Umsetzungserfahrung liegt vor. „Wir haben mit ANITA einen Mehrwert geschaffen, indem wir viele kleine Bausteine zusammengefügt haben. Das ist ein großer Schritt für den zukünftigen Einsatz autonomer Lkw“, resümiert Dr. Zohm. Dafür müssten noch viele Aufgaben gelöst werden – doch wie die Zukunft aussehen kann, konnte man Ende September bereits auf dem Containerterminal in Dornstadt bei Ulm erahnen.
Text: Ralf Kund
Fotos: MAN